April 2004: Kapitalanleger

Verfassungswidrig: Besteuerung von Wertpapierspekulationsgeschäften

Die Besteuerung von privaten Spekulationsgeschäften bei Wertpapieren in den Veranlagungszeiträumen 1997 und 1998 ist verfassungswidrig, so das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht ist der Auffassung, dass der § 23 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b des Einkommensteuergesetzes in der für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 geltenden Neufassung mit dem Gleichheitssatz des Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar ist.

In der Begründung des Bundesverfassungsgerichts heißt es: Die materielle Steuerpflicht, die sich aus § 23 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b des Einkommensteuergesetzes ergibt, ist nicht zu beanstanden. Allerdings verstößt die mangelnde Durchsetzung der gesetzlichen Regelung gegen das verfassungsrechtliche Gebot tatsächlicher Steuerbelastung durch gleichen Gesetzesvollzug. Da die Bereitschaft zur Erklärung von Spekulationsgewinnen aus Wertpapiergeschäften nur bei einer Minderheit der Steuerpflichtigen bestand und das Risiko, bei einem Fehlverhalten entdeckt zu werden, ohne praktische Bedeutung blieb, kann man davon ausgehen, dass hier eine Ungleichmäßigkeit in der Rechtsanwendung besteht. Diese Ungleichmäßigkeit ist in der Struktur des Gesetzes begründet, so dass eine gleichheitsgerechte Durchsetzung des Steueranspruchs scheitern muss.

Diese Grundaussage hat das Bundesverfassungsgericht getroffen, obwohl keine Zahlen über die tatsächlich nicht erfassten Spekulationsgeschäfte ermittelt wurden. Allerdings lassen sich erhebliche Erhebungsdefizite vermuten. Hierfür sprechen beispielsweise folgende Gründe: Der Steuerpflichtige ist nicht dazu verpflichtet, bestimmte Aufzeichnungen zu führen beziehungsweise Belege oder Unterlagen aufzubewahren. Der Steuerpflichtige ist außerhalb der Steuererklärung weder zur Mitteilung über von ihm getätigte Spekulationsgewinne noch zur Glaubhaftmachung durch die Beifügung von Belegen verpflichtet. Kontrollmitteilungen durch Banken sind für diese Veranlagungszeiträume eher die Seltenheit. Eine Überprüfung durch die Veranlagungsstellen blieb damit nahezu unmöglich.

Folgen aus diesem Urteil: Von dem Urteil vom 9.3.2004 profitieren werden diejenigen Steuerzahler, die die Steuerbescheide 1997 und/oder 1998 auf Grund des anhängigen Verfahrens bereits angefochten hatten. In diesen Fällen kann man davon ausgehen, dass die Finanzämter von sich aus tätig werden und die Bescheide entsprechend ändern. Wer allerdings auf der sicheren Seite stehen will, sollte sich schriftlich mit dem Hinweis auf das aktuelle Urteil und dem bereits eingereichten Einspruch an das zuständige Finanzamt wenden.

Steuerpflichtige, die bisher keinen Einspruch eingelegt haben und deren Bescheide bereits bestandskräftig sind, werden dagegen "leer" ausgehen. Hiergegen wendet sich die Deutsche Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW). Ihre Vertreter fordern den Bund auf, auf die Steuern für 1997 und 1998 zu verzichten und völlig unabhängig davon, ob der entsprechende Bescheid bereits angefochten wurde, die Steuern an die Bürger zurückzuzahlen. Inwieweit sich diese Forderung durchsetzen lässt, bleibt abzuwarten.

Konsequenzen für die Folgejahre: In der Begründung des Bundesverfassungsgerichts wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die Grundlage und die Konsequenzen dieses Urteils nicht auf die Folgejahre ab 1999 übertragen lassen. Begründet wird diese Annahme damit, dass sich die Gesetzeslage mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 deutlich gewandelt habe. Auf Grund des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 besteht die Möglichkeit, Spekulationsgewinne durch entsprechende Spekulationsverluste auszugleichen. Dies führe dazu, dass die gesetzlichen Regelungen ab 1999 verfassungsrechtlich unbedenklich seien. Nichts desto trotz sollten Fälle mit Spekulationsgewinnen aus Wertpapiergeschäften ab 1999 offen gehalten werden. Denn es ist durchaus anzunehmen, dass weitere Verfahren für die Jahre ab 1999 folgen werden (BVerfG-Urteil vom 9.3.2004, Az. 2 BvL 17/02).