Dezember 2012: Alle Steuerzahler

Ist das Erbschaftsteuergesetz (schon wieder) verfassungswidrig?

Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2006 war die Erhebung der Erbschaftsteuer in vielen Punkten mit dem Grundgesetz unvereinbar. Der Gesetzgeber wurde daher verpflichtet, spätestens bis zum 31.12.2008 eine Neuregelung zu treffen. Ob diese Neuregelung nun auch wieder verfassungswidrig ist, wird wohl bald erneut überprüft werden. Der Bundesfinanzhof hat dem Bundesverfassungsgericht das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz nämlich zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt.

Überprivilegierung von Betriebsvermögen

Der Bundesfinanzhof stützt seine Vorlage u.a. auf die weitgehende oder vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften. Eine Privilegierung, die nach Ansicht des Bundesfinanzhofs weit über das verfassungsrechtlich Gebotene und Zulässige hinausgeht.

Zum Hintergrund: Nach der aktuellen Rechtslage gibt es bei der Übertragung von Unternehmensvermögen ein Wahlrecht:

  • Die erste Alternative sieht einen Wertabschlag von 85 % und einen zusätzlichen (gleitenden) Abzugsbetrag von höchstens 150.000 EUR vor, soweit der Betrieb fünf Jahre fortgeführt wird. Zusätzlich darf die Summe der jährlichen Lohnsummen innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb 400 % der Ausgangslohnsumme nicht unterschreiten. Der Anteil des Verwaltungsvermögens (beispielsweise Wertpapiere, Anteile an Kapitalgesellschaften von 25 % oder weniger) am Gesamtvermögen darf maximal 50 % betragen.

Hinweis: Bei einem Unternehmenswert von bis zu 1 Mio. EUR wird bei dieser Variante eine vollständige Steuerentlastung erzielt.

  • Die zweite Variante sieht sogar eine vollständige Steuerbefreiung vor, wenn der Betrieb sieben Jahre fortgeführt wird, eine Lohnsummenregel von 700 % eingehalten wird und das Verwaltungsvermögen maximal 10 % beträgt.

Hinweis: Die Lohnsummenregel ist nur bei Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten anzuwenden.

Die Verfassungsverstöße führen – so der Bundesfinanzhof – teils für sich allein, teils in ihrer Kumulation zu einer durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung. Hierdurch würden diejenigen Steuerpflichtigen, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen können, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende Besteuerung verletzt.

Gestaltung mit „Cash-Gesellschaften“

Darüber hinaus kritisiert der Bundesfinanzhof die Gestaltungsmöglichkeiten mit nicht betriebsnotwendigem Vermögen sowie die Bestimmungen hinsichtlich des Verwaltungsvermögens.

Beispielsweise gehören Zahlungsmittel, Sichteinlagen und Festgeldkonten bei Kreditinstituten nicht zum schädlichen Verwaltungsvermögen. Demzufolge besteht die Möglichkeit, Zahlungsmittel, die typischerweise zum nicht begünstigten Privatvermögen gehören, z.B. in eine GmbH einzulegen und dann die Anteile steuerbegünstigt zu verschenken (sogenannte „Cash-Gesellschaften“).

Eine missbräuchliche Gestaltung kann der Bundesfinanzhof hierin nicht erkennen. Es handelt sich seiner Ansicht nach vielmehr um die Nutzung von Gestaltungsmöglichkeiten.

Hinweis: Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2013 eine Gesetzesänderung gefordert. Danach sollen z.B. Zahlungsmittel, Sichteinlagen und Bankguthaben als schädliches Verwaltungsvermögen eingestuft werden, wenn sie 10 % des Unternehmenswerts übersteigen.

Vorläufige Festsetzungen und Ausblick

Sämtliche Festsetzungen nach dem 31.12.2008 entstandener Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) sind hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes vorläufig durchzuführen.

Sollte das Bundesverfassungsgericht das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz als verfassungswidrig beurteilen und seiner bisherigen Linie treu bleiben, wird es den Gesetzgeber erneut zu einer Reform binnen einer bestimmten Frist auffordern. Dass das Bundesverfassungsgericht das Gesetz rückwirkend für nichtig oder für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, ist eher unwahrscheinlich (BFH, Beschluss vom 27.9.2012, Az. II R 9/11; Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 14.11.2012).